Und wo hat sie stattgefunden? In Halberstadt! Alle Tagungsteilnehmer werden sofort wissen, worauf ich damit anspiele. Rüdiger Becker, der Direktor des Museums Heineanum und neuer Präsident der GTO, auf dessen Einladung wir in Halberstadt getagt haben, wurde nicht müde, mit diesem Spruch auf die vielen Highlights der Stadt und vor allem des Heineanums hinzuweisen. Und wir alle haben, sofern es uns noch nicht klar war, schnell begriffen wie Recht er damit hat und welche Schätze im Museum zu bewundern sind. Aber dazu später mehr.

Mit einem inoffiziellen Begrüßungsabend startete die 41. Tagung über tropische Vögel der GTO am 06. Oktober 2022 abends im Seminarhotel K6. Wie schön, dass wir uns nach zweijähriger Coronapause wieder persönlich treffen konnten und dafür war das K6 optimal, da alles unter einem Dach stattfinden konnte und viel Zeit für den Austausch blieb. Gern auch bei dem ein oder anderen Bier oder Wein. Nach dem Abendessen begann das Programm mit einem sehr eindrücklichen und toll bebilderten Vortrag von Prof. Werner Kunz, der uns nach Ecuador entführte. Trotz endloser Regenfälle, wie er immer wieder betonte, gelangen ihm tolle Aufnahmen vieler Kolibris, aber auch etlicher Hühnervögel, Tyrannen, Reiher, Greifvögel oder der Sturzbachenten, welche sich entgegen reißender Strömung flussaufwärts bewegen. Neben den schönen Bildern wurden aber auch wichtige Daten zur wissenschaftlichen Einordnung, der Verbreitung oder zu Besonderheiten der Vögel gegeben – wie beispielsweise zur Farbgebung der Kolibris durch Interferenz auf den Hornlamellen. Die neu gewonnenen Erkenntnisse oder aufgeworfenen Fragen konnten anschließend beim Bier in der Bar noch näher erörtert werden –  genauso wie alles andere, was in den letzten drei Jahren auf der Strecke geblieben war.

Am nächsten Morgen wurde unsere Tagung dann offiziell eröffnet, unter anderem mit ein paar sehr treffenden und persönlichen Grußworten des stellvertretenden Oberbürgermeisters von Halberstadt, Thomas Rimpler. Das Heineanum durfte dabei natürlich nicht fehlen, er wies aber auch auf die schöne Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten hin, den Landschaftspark Spiegelberge und das Rotmilanzentrum. Rüdiger Becker stellte uns anschließend das Heineanum näher vor, das seinen Ursprung in der Sammelleidenschaft von Ferdinand Heine sen. in den 1830er Jahren hatte. Aber erst mit Cabanis erfolgte die Katalogisierung und schon damals wurden fast 5.200 Vogelarten zusammengetragen. Nach dieser gelungenen und interessanten Einstimmung freuten wir uns umso mehr auf die Besichtigung am folgenden Tag.

Ditmar Oppermanns Leidenschaft und Interesse gilt vor allem den Brillenvögeln, die er schon lange Jahre hält und vermehrt. In seinem Vortrag brachte er uns ihre Lebensweise näher, dass sie beispielsweise gern eng beieinandersitzen oder Blüten durch Zirkeln anstechen und den Nektar heraussaugen. Auch imitieren die Männchen des Kilimandscharo-Brillenvogels andere Arten wie die Mönchsgrasmücke und einige Brillenvögel werden ihrem Namen nicht gerecht, da sie keinen Augenring besitzen. Abgerundet wurde der interessante Beitrag durch schöne Bilder aus seiner Haltung und spannende Beobachtungen wie der unterschiedlichen Eifärbung der Kilimandscharo-Brillenvögel.

Anschließend war Zeit für einen Spaziergang zum nahegelegenen Tiergarten Halberstadt, den wir dank der Organisation von Rüdiger Becker und seinem Team sogar kostenlos besuchen durften. Bei bestem Herbstwetter schlenderten bzw. kraxelten wir durch den schön angelegten Tiergarten, wo in großzügigen Gehegen Tierarten wie Kängurus, Luchse, Berberaffen, Erdmännchen und vieles mehr beobachtet werden konnte. „Klein aber fein“, „eine schöne Anlage“, „sehr gute Tiere“ sind nur einige der Aussagen zu diesem Tiergarten.

Nach dem Mittagessen berichtete Detlev Franz über die Nahrungsökologie asiatischer Halsbandsittiche, die er tagtäglich in Mainz im Botanischen Garten beobachtete. Ein schier endloses Spektrum von kleinsten Samen bis zu riesigen Früchten wurde von den Vögeln verzehrt, wobei sie sehr geschickt die Füße und den Schnabel einsetzten. Die Jungvögel stellten sich allerdings anfangs noch nicht so geschickt an, wie wir anhand eines Bildes erfuhren, wo der junge Halsbandsittich einen Apfel im Schnabel hat, ihn aber weder wegtragen noch in den Fuß nehmen konnte. Bei Esskastanien beißen geschickte Vögel die Stacheln ab, während Rosskastanien keine effektiv zu nutzende Nahrung sind. Auch der Durchgang der Nahrung durch den Verdauungstrakt wurde beschrieben und reich bebildert – wie gut, dass wir schon gegessen hatten.

Aus Asien ging’s dann zurück nach Ostdeutschland, wo Michael Kaatz vom Storchenhof Loburg über das langjährige Projekt berichtete. Die Weißstorchbestände in Westdeutschland nehmen deutlich zu, während jene im Osten stagnieren, dies ist unter anderem sicherlich auf den kürzeren Westzug mit Rastbiotopen auf Müllhalden in Spanien zurückzuführen. Sehr anschaulich stellte er die Verfolgung des ersten besenderten Storches „Prinzesschen“ dar und die Schwierigkeiten, den Vogel immer wieder zu orten, erst recht im Beisein des Fernsehteams. Diese Berühmtheit wurde auch auf einer Briefmarke verewigt und hat sogar ein Grab in ihrem Winterquartier bekommen. Aber auch über eine der hauptsächlichen Todesursachen für Weißstörche, dem Anflug an Mittelspannungsleitungen, berichtete Herr Kaatz sehr anschaulich und zeigte immer wieder schöne Bilder der großen Schreitvögel.

Nach einer Stärkung mit Kaffee und Kuchen kamen wir nach Halberstadt zurück, wo Knut Ballhause über die Vögel in der Stadt berichtete. Dabei ging es hauptsächlich um ein altes Militärgebiet nördlich des Tagungshotels, aber auch um Beobachtungen in der Stadt oder dem eigenen Garten. Von vielen tollen Bildern untermalt berichtete er über Beobachtungen, Bruten, Nahrungswahl und Überwinterungen etlicher Vogelarten vom Fitis über Braunkehlchen, die 2022 sehr häufig waren und ihn stets genau musterten, bis zur Rauchschwalbe in der eigenen Garage. Auch der Bienenfresser kam nicht zu kurz, der in deutlich wachsenden Beständen in Sachsen-Anhalt brütet.

Mit Spannung erwarten wir den Abendvortrag von Kai Gedeon und Thorsten Pröhl über das Buch „Noahs Rabe“. Im ersten Teil brachte Kai Gedeon uns die ersten Forschungsreisen nach Äthiopien, das damalige Abessinien, und ihre Herausforderungen im 19. Jahrhundert näher. Auch damals herrschte Krieg in Europa und eine Pandemie griff um sich. Auch im II. Weltkrieg sowie im Kalten Krieg riskierten Ornithologen sehr viel für die Erforschung der Flora und Fauna in diesem Land. Weiterhin berichtete er über aktuelle Forschungsprojekte und die Erstellung von Checklisten und Arealkarten in diesem vielfach noch wenig erkundeten Land. Im zweiten Teil begeisterte Thorsten Pröhl uns mit seinen Vogelaufnahmen. Als Greifvogelfan wollte er eigentlich nie nach Afrika – wie schön, dass es anders kam. Er berichtete über tolle Beobachtungen und spannende Begebenheiten in Äthiopien und mehrfach ging ein Raunen durch den Saal aufgrund der fantastischen Bilder.

Am Samstagmorgen fuhren wir mit einer historischen Straßenbahn in die Stadt, die Rüdiger Becker eigens für die GTO organisiert hatte – eine tolle Aktion. Vorbei am Domplatz führte er uns zum Heineanum, wo wir in kleineren Gruppen eine spannende und umfassende Führung genossen. In der Bibliothek bekamen wir einige alte Schätze von Heine und Kollegen zu sehen, die bei so manchem die Augen zum Leuchten brachten. Die junge Dame, Susanne Bursch, erzählte begeistert von ihrer Arbeit in der Bibliothek und anschließend ließ sie uns noch einige Minuten herumstöbern. In der Ausstellung erfuhren wir von Detlef Becker viel über die Präparate, ihre Herkunft und Präparation und bewunderten die alten Objekte und die schön gestalteten Schaukästen. Und dass Präparatoren manchmal zu viel Zeit bzw. den Schalk im Nacken haben, konnten wir anhand einiger Kombipräparate wie dem Wolpertinger oder dem Rasselbock feststellen, die als Sonderausstellung zum Thema „fake news aus der Zoologie“ präsentiert wurden. In der Sammlung zeigte Rüdiger Becker uns das allererste Präparat des Heineanums sowie einige Präparate ausgestorbener Vogelarten. Wir drängten uns dicht um die Schränke mit Bälgen und Standpräparaten und bewunderten deren Vielzahl. Und wo gibt’s solch einen Schatz? Natürlich in Halberstadt! Das hatten spätestens jetzt alle verinnerlicht. Nach einer angeregten Diskussion wurde noch ein Gruppenfoto vor dem altehrwürdigen Gebäude gemacht, bevor es mit der historischen Straßenbahn zurück zum K6 ging.

Am Nachmittag eröffnete Michaela Mayer den Vortragsblock Tropenornithologie mit ihrer Forschung in Nigeria an der Jos-Atlaswitwe. Sie zeigte sehr anschaulich was es heißt, in diesem unruhigen Land zu forschen und zu lehren und wie wenig erst über die Vogelfauna bekannt ist. Nicht ohne Grund hatte die Biologin auch eine Leere als Automechanikerin gemacht… Sie erläuterte sehr anschaulich, wie die Jos-Atlaswitwe den Felsenamarant parasitiert, wobei beide Arten von den Wirtseltern großgezogen werden. Um den Weibchen anzuzeigen, dass sie einen passenden Wirtsvogel gefunden haben, imitieren die männlichen Atlaswitwen den Gesang der Felsenamarante. Von Sven Cichon, der Vogelzucht und Wissenschaft vereint, erfuhren wir anschließend viel Spannendes über die größte Gattung der Prachtfinken (Lonchura). Bei dieser recht jungen Gattung beginnt eine Schnabeldifferenzierung aufgrund der Nahrungswahl, wie sie bei den Darwinfinken schon länger bekannt ist. Amerikanische Forscher fanden heraus, dass die genetischen Unterschiede noch sehr gering sind, während eine phänotypische Variation deutlich erkennbar ist. Gibt es demnach bei Arten im gleichen Lebensraum eine Ursprungspopulation? Nein, man geht wohl eher von einer immer wieder stattfinden Durchmischung der Arten aus, was im Anschluss an den Vortrag zu einer regen Diskussion über die Abgrenzung bzw. Bildung von Arten führte.

Als letztes berichtete Kevin Gröber über seine Haltung und Zucht von Glanzstaren. Neben der Systematik und Verbreitung verschiedener Arten zeigte er uns tolle Aufnahmen seiner Glanzstare in der Voliere, berichtete über Vergesellschaftung bei anderen Züchtern mit Hühnervögeln und stellte sein Futterangebot vor. Die Paarharmonie spielt bei der Zucht eine sehr wichtige Rolle und er zeigte uns die Bruthöhlen und das bereitgestellte Nistmaterial. Eine sehr runde und informative Zusammenstellung zum Thema Glanzstare. Während der folgenden Mitgliederversammlung wurde nach den Berichten aus dem Vorstand ein neuer Vorstand und Beirat der GTO gewählt (siehe Protokoll S. ?), der unseren Verein tatkräftig und mit frischem Wind in die Zukunft führen soll.

Nach dem Abendessen versammelten sich alle pünktlich im Saal, wo uns eine Überraschung erwartete. Eine kleine Schauspielergruppe gab ein amüsantes Stück über Heine und Cabanis zum Besten, das uns allen sehr viel Freude bereitete. Anschließend wurde der Preis für Tropenornithologie 2022 an Carsten Höller verliehen; da er in diesem Jahr auch den Steinbacher-Preis der Gefiederten Welt gewann, bei der Verleihung aber nicht anwesend sein konnte, trug ein Mitglied der Jury diese Laudatio in Anwesenheit des Preisträgers vor. Der Agrarwissenschaftler, Ornithologe und Künstler, der zwischen Stockholm und Ghana pendelt, wurde für seine herausragende Arbeit über den Pirolsänger ausgezeichnet und berichtete dann selbst aus seinem Leben und die Bedeutung der Vogelhaltung darin. Anschließend wurde rege diskutiert, gelacht und getrunken, alte Freundschaften  wieder aufgefrischt und neue Verbindungen geknüpft.

Am Sonntag kam Ditmar Oppermann nochmals zu Wort, allerdings ging es dieses Mal nicht um die Brillenvögel, sondern um den Pirolgimpel – weder Pirol noch Gimpel. Es existieren vier Unterarten, die teilweise sehr weit voneinander entfernt vorkommen, und in der Haltung sehr zutraulich sind. Sie bewegen sich kaum, sodass es schon fast langweilig sei, wie auch Joseph Vandieken anmerkt. Herr Oppermann zeigte Bilder aus der Haltung von Herrn Bösche und Herrn Lietzow, die beide die Art erfolgreich nachgezüchtet hatten. Er berichtete von Gelegen unterschiedlicher Färbung und der Gemeinschaftshaltung mit anderen Vogelarten. Eine schöne Zusammenstellung zum Pirolgimpel, die aber leider schon wie ein Nachruf anklang, da diese Art aus der Haltung praktisch verschwunden ist.

Nachdem die Trennung bzw. Definition von Arten schon oft für Diskussionsstoff sorgte, gab Norbert Bahr uns einen umfassenden und spannenden Einblick zum Thema Vogelarten. In früheren Jahrhunderten konnten neben Fängen und Beobachtungen nur Bälge in Sammlungen zu Rate gezogen werden, mit neuen Methoden wie der Genetik oder Bioakustik kam es in den letzten Jahrzehnten aber zu einem raschen Anstieg der Artenzahl. Bei den Eulen beispielsweise waren es in Peters´ Checklist (1931-1986) noch 133 Arten, aktuell werden aber bereits 230 Arten anerkannt, was neben der Aufwertung von Unterarten auch auf Neubeschreibungen zurückgeht. Sehr anschaulich berichtete Herr Bahr, dass es vor allem in Südamerika auch heute noch zu etlichen Neubeschreibungen von Arten kommt, wo vor allem breite Flüsse Barrieren darstellen und sich Schwesterarten entwickeln. Am Schluss stellte er einige kürzlich beschriebene Arten vor, unter anderem den Schmuckkehl-Höschenkolibri, der nur in einem Gebiet von 10 km² Größe in Kolumbien vorkommt. Zum Ausklang der Tagung berichten Juliane Riechert und Andi Lischke über ihre Reisen nach Costa Rica. Mit schönen Bildern aus drei Regionen des Landes wurden viele Arten vorgestellt und damit die alten Hasen sowie die Neulinge gleichermaßen für dieses mittelamerikanische Land begeistert. Den Schlusspunkt setzte Robert Pfeifer, der uns für die nächstjährige Tagung nach Bayreuth einlud. Er stellte den Tagungsort und die Exkursionsziele vor und wir alle freuten uns schon jetzt auf ein Wiedersehen 2023 in Bayreuth!